Minimalismus

Standschäden

Ungenutzte Dinge setzen bekanntlich Staub an. Wir kennen das eigentlich von Autos. Das hehre Ziel, Kosten zu sparen und die Umwelt zu schonen, kann böse nach hinten losgehen. Denn wenn so ein technisch nicht ganz unkomplexes Gefährt über lange Zeit nicht bewegt wird, reagiert es teilweise höchst undankbar. Plötzlich läuft gar nichts mehr, im besten Fall ist nur Batterie alle aber es kann auch teurer werden.

Das lässt kurioserweise auch auf uns selbst übertragen. Unser eigener Körper legt zuweilen ein Verhalten an den Tag, das dem eines aufs Abstellgleis verfrachteten Autos nicht ganz unähnlich ist. Er wird steif und unbeweglich, statt Staub setzt er allerdings gerne Fett an. Auch nicht besser…

Auch das Hirn verblödet sozusagen, wenn wir es nicht nutzen. Stillstand ist kontraproduktiv, wir müssen unseren Geist nutzen, um geistig fit und aktiv zu bleiben. Und da hilft nicht nur Gehirnjogging in Form von Kreuzworträtseln oder dem Lernen einer neuen Sprache. Die geistige Beweglichkeit profitiert auch von der körperlichen Bewegung. Wenn man es allerdings zu lange schleifen lässt (was sich bei einem Hausbauprojekt kaum vermeiden lässt), stellen sich irgendwann die ersten Standschäden in Form von verkürzten Muskeln, schmerzenden Körperteilen und unterirdischer Ausdauer ein.

Gerade bei älteren Menschen erlebe ich oft, wie sie sich selbst in einer Abwärtsspirale gehen lassen. Sie sind gefangen im Teufelskreis aus „ich kann keinen Sport machen, weil ich Schmerzen habe“ und Schmerzen, die sie haben, weil sie sich zu wenig bewegen. Es wird also höchste Eisenbahn, selbst wieder den berühmten Arsch hochzubekommen.

Dass wir es mit der sportlichen Auszeit etwas zu lange haben schleifen lassen, merke ich an dem tagelangen Muskelkater, nachdem ich mal wieder in die Laufschuhe geschlüpft bin (natürlich bin ich auch gelaufen). Ein Vorgeschmack auf das Alter, wenn Treppenstufen plötzlich unüberwindbar werden und ein Grund mehr, tatsächlich dran zu bleiben. Auch wenn der Nachbar nach der Laufrunde sorgenvoll fragt, ob er ein Sauerstoffgerät holen soll oder einen halbstündlich darauf hinweist, dass das Birnchen immer noch hochrot leuchtet, sollte das Motivation genug sein.

Wir werden ja alle nicht jünger, daher ist es nicht ganz unerheblich, wie wir uns im Alltag bewegen. Neben all den kleinen Gelegenheiten, wie ganz klassisch die Treppe statt dem Aufzug zu nehmen, braucht es aber auch ein bisschen mehr Anstrengung, um die Alterserscheinungen an der menschliche Maschinerie in Grenzen zu halten. Wobei jeder kleine Schritt besser als nichts ist. Bevor man also über jemanden lacht, weil er oder sie wie ein Glühwürmchen durch den Wald keucht, sollte man sich um seinen eigenen Kram kümmern. Jede Bewegungseinheit ist lobenswert und alles ist besser, als mit dem persönlichen Schweinehund auf der Couch zu hocken.

Und jetzt höre und staune, nicht nur Mensch und Maschine wollen regelmäßig genutzt werden. All die hübschen Dinge, die wir gerne für den besonderen Anlass horten, können uns das am Ende übel nehmen.

Da ist dann plötzlich der edle Anzug oder das schicke Kleid, welche ausgerechnet dann, wenn uns nach Jahrzehnten mal eine Hochzeitseinladung erreicht, plötzlich ungewohnt körperbetont auf der Haut sitzen. Hätte ich das Kleid doch mal öfters getragen, bevor ich mir mit Krafttraining einen schönen starken Rücken gezaubert habe. Egal, jetzt muss es weichen und Platz für bequemere Kleidung machen. Ich stehe einfach auf Sauerstoff und finde es spitzenmäßig, wenn ich in meiner Kleidung auch atmen kann. Mittlerweile darf auch nur noch Kleidung bei mir wohnen, die sich sowohl für besondere Anlässe aber auch für den Alltag eignet.

Apropos besondere Anlässe – da spart man sich den besonders teuren Wein für die perfekte Gelegenheit auf und hat am Ende nur noch einen besonders teuren Essig. Wenn wir also so ein kulinarisches Highlight zu Hause haben, sollten wir es genießen, wenn uns danach ist. Und wer sagt, dass man eine Flasche Sekt nicht einfach so öffnen darf, nur weil einem jetzt gerade danach ist?!

Ja, ich weiß, Sekt hält eine ganze Weile. Doch nicht alles, von dem man erwarten würde, dass es unbegrenzt hält, erfüllt diese Erwartungen auch. Denn, wenn wir etwas über Jahre im hintersten Eck im Kellerschrank vergessen, kann es schon mal passieren, dass der Zahn der Zeit doch noch einen Weg findet, daran zu nagen. Sei es die Duftkerze, die dann halt nur den besagten Kellerschrank beduftet hat und am Ende nur noch nach Mottenkugeln riecht. Oder Gewürze, die man einst in günstigen Großpackungen eingelagert hat und die ihr Aroma ebenfalls schon lange verloren haben.

Wer also gerne mal das Hamstern und Horten anfängt, sollte dann auch ans Aufbrauchen denken. Denn was bringen Schränke voll Klopapier und Konserven, wenn ich das ganze dann vergesse. Die späteren Erben können sich bestimmt etwas Schöneres vorstellen, als eine lebenslange Ration Dosenravioli.

Und auch von der teuren Pralinenpackung habe ich länger etwas, wenn ich sie in Form von Hüftspeck einlagere, als wenn sie im dunklen Schrank auf eine Gelegenheit zum Weiterverschenken wartet. Sowieso gönnen wir uns ja eigentlich nie die richtig feinen Pralinen, ein Grund mehr also, sie sofort und ausgiebig zu genießen. Denn wer fleißig Sport macht, braucht ja auch Energie.  

All solche unnötigen Standschäden lassen sich leicht vermeiden, wenn man genau weiß, was man besitzt (also neben dem eigenen Körper) und alles, was man besitzt, auch ausgiebig nutzt (inklusive des eigenen Körpers). Was man nicht mehr braucht, sollte zeitnah ausziehen. Was keine Miete zahlt (in Form von Nützlichkeit), fliegt raus! Umso schöner, wenn man etwas in wertschätzende Hände weitergeben kann. Unsere kleine Mini-Musikanlage beschallt zum Beispiel zukünftig Nachbars Gartenhütte. Liesen wir sie im Schrank versauern, würden irgendwann die Kondensatoren eintrocknen und das wäre echt schade drum.

Selbst in einem stark minimalistisch angehauchten Haushalt ändern sich manchmal die Gegebenheiten und Dinge werden überflüssig. Statt den Krempel nun in irgendeine dunkle Ecke zu packen – man kann es ja vielleicht noch mal brauchen – gibt man sie vielleicht doch lieber weiter. Dann hat man auch den Platz, mal die Yoga-Matte auszurollen. Denn nach dem Muskelkater ist vor dem Muskelkater!

13 thoughts on “Standschäden

  1. hihi – das mit dem standplatten kenn ich auch…… nach dem letzten winter war es besonders schlimm: erst schwer verletzt und dann schwer krank sammt OP. wandern und skilaufen fehlanzeige. ich musste tatsächlich wieder laufen lernen. also gehen – von rennen wie bei dir bin ich lichtjahre entfernt ;-D
    dinge oder essen horten habe ich noch nie gemacht, aber ich weis, dass sammeln, horten, aufheben ein weit verbreitetes verhalten ist – war ja in der steinzeit auch ganz nützlich, seine 3 feuersteine zu behalten….. nur gibt es heutzutage einfach vielzuviel geraffel auf der welt. und herr turbokapitalist redet uns noch permanent ein, was wir nicht alles brauchen um glücklich, sicher, jemand zu sein.
    und dann hat man die motten im drölfzigsten kaschmirpulli und die teuren steaks haben gefrierbrand……
    umso besser – kann man neu kaufen – hurraaaa**********
    😀
    <3 xxxx

    1. Das, was uns in den Genen steckt, ist gar nicht so leicht, loszuwerden. Aktuell horte ich besonders gerne Kuchen – natürlich auf den Hüften. Man weiß ja nie, wann man die Kalorien mal brauchen kann 😉
      Aber da merkt man auch ganz schnell, was die Gesundheit wert ist. Nehmen wir viel zu oft als selbstverständlich hin. Darauf mach ich gleich ne Runde Kniebeugen 😅🥴

  2. Ich stimme dir zu, man denkt so oft die Dinge sind für immer da – dabei müssen sie in Bewegung gehalten werden bzw zu uns uns unserem Leben passen.

    Super dass du wieder angefangen hast zu laufen 🙂 ich kann gut nachvollziehen dass du während des Hausbaus dafür keine Nerven hattest, aber umso schöner dass du jetzt wieder mehr Zeit dafür findest!

    1. Dranzubleiben ist in der Tat gar nicht so einfach. Im Sommer ist man einfach viel unterwegs und es gibt immer etwas zu tun, da muss man schon konsequent sein. Aber die Motivation ist da und bleibt hoffentlich.

  3. Ich habe sicher auch den einen oder anderen Standschaden. Nicht umsonst heißt es: „Wer rastet, der rostet“. Warum das so ist, weiß natürlich jeder selbst oder sollte es zumindest wissen. Bei den Dingen, die man besitzt, ist es sicher nicht viel besser, die Zeit, die man benötigt, um keine Standschäden zu bekommen, ist ja nicht die einzige, man hat ja auch Zeit aufgewendet, um sie zu kaufen, sich vorher zu informieren und zu vergleichen und dann liegt das meiste doch nur ungenutzt zu Hause herum. Minimalismus hilft, ganz einfach 😊
    Liebe Grüße Tom

  4. Ich bin gerade auf einem guten Weg, seit Corona viel im Homeoffice wurde ich auch träger und träger. Hat sich natürlich auch an den Klamotten und am Wohlbefinden negativ bemerkbar gemacht. Seit Anfang des Jahres gehe ich nahezu jeden Tag eine Stunde Walken/Joggen, je nachdem wie das Befinden und die Lust gerade ist. Mal alleine, mal in Begleitung. Feste Termine mit der Nachbarin lassen einen dran bleiben und nicht so schnell eine Ausrede finden. Auch versuche ich gerade in Sachen Lebensmittel nur das Nötigste einzukaufen und erstmal Leckeres aus dem Vorrat zu zaubern. In Sachen Konsum, vor allem Klamotten versuche ich mich zu reduzieren und nur noch wohlüberlegt zu kaufen. Bei 1x pro Woche Büro komme ich gar nicht dazu alle schicken Klamotten zu tragen ☺
    Zum Thema Bewegung gibt es gerade auf ARTE eine gute Dokumentation: Die Bewegungskrise
    Liebe Grüße Regine

    1. Danke für den Hinweis, die Dokumentation habe ich mir gleich vorgemerkt. Der Urlaub steht vor der Tür, da werde ich mir das anschauen.
      Das mit den schicken Klamotten kenne ich auch, man hat mehr schicke Sachen, als man eigentlich braucht. Daher muss sich bei mir auch alles alltagstauglich kombinieren lassen. Im Büro renne ich manchmal ein bisschen schicker rum, als ich müsste, so kommen Kleider und Blusen auch öfters mal raus.
      LG

  5. Ooohhjaaa…ich «durfte» vor einem Jahr am eigenen Leib erfahren wie schnell es geht, dass ein Organismus «von der Strecke abkommt“!
    Im normalen Alltag bin ich ja 3-4 mal die Woche mit meinen Dicken unterwegs, leiste viel körperliche Stallarbeit und bin auch sonst sehr agil. Sobald die Beiden aber im Jura sind, bricht meine Aktivitätskurve deutlich ein- Sofa ahoi! Das führte dazu, dass ich letzten Spätsommer mit hohen Blutdruckwerten auf unserer Kardiologie gelandet bin. Sobald sich der Alltag wieder einstellte im Herbst, normalisierten sich die Werte völlig. Das war mir ein deutlicher Wink mit dem Zaunpfahl! Diesen Sommer bin ich jede Woche mindestens 2x zügig im Wald unterwegs, und siehe da: keine Spur von Hypertonie! So manche Zivilisationskrankheit liesse sich mit einem Mindestmass an körperlicher Aktivität vermeiden, Unmengen an Kosten gleich noch dazu. Deshalb habe ich mir geschworen, dass ich mir immer irgendein Tier ins Leben holen werde, das mich vom Sofa hochzerrt und meinem inneren Schweinehund «den Haken stellt»!
    Auch sonst bin ich ganz deiner Meinung: was nur noch rumsteht, verstaubt und unnütz wird soll weiterziehen. Es gibt immer jemanden, dem es dient! Und dann: nichts mehr nachkaufen. Oder nur das, was man wirklich BRAUCHT. So sorgt man, neben optischer Ruhe und Platz in den Schränken, auch gleich noch für mentale Gesundheit. Denn alles an Zuviel macht mich einfach ganz wuschig….
    Ciao!

    1. Tiere sind wirklich die besten Verbündeten, wenn es darum geht, sich aufzuraffen. Habe mich von der Nachbarskatze sogar schon mal vom Balkon bitten lassen, als sie lautstark mehr Streicheleinheiten eingefordert hat. Ist ja allgemein bekannt, das Katzen die eigentlichen Chefs sind. Ansonsten ist der eigene Schweinehund aber das einzige Haustier, den kann man locker alleine zu Hause lassen.
      Respekt, dass du so konsequent dein Bewegungsprogramm durchziehst! Ich bin ja auch der Ansicht, dass sich Wald und Bluthochdruck gegenseitig ausschließen. Während dem Hausbau ist letzterer bei mir auch mal hochgegangen. Bei der letzten Vorsorgeuntersuchung war alles wieder fein. Und seit wir regelmäßig im Garten werkeln, bin ich wortwörtlich geerdet.

  6. Standschäden kenne ich auch. Bei einem Auto, dass mein Vater nicht mehr genutzt hat und nur noch in der Garage stand, waren dann irgendwann die Bremsen fest. Aber die Batterie hatte noch Power. Manchmal mache ich auch zu wenig Sport und merke das dann an der Ausdauer und am Muskelkater. Und ja, Gehirnjogging müsste ich auch Mal wieder machen, es gibt schließlich viele interessante Apps, Kopfrechnen zum Beispiel, das mache ich gerne.

    Ich wünsche Dir ein schönes Wochenende.

    Viele liebe Grüße
    Wolfgang

    1. Stelle ich mir schwierig vor, ein Auto mit festgefressenen Bremsen aus der Garage zu bekommen.
      Gehirnjogging geht ja auch, indem man einfach immer wieder was Neues lernt. Vielleicht fange ich tatsächlich mal das Klavierspielen an, wenn ich irgendwann in Rente gehe.
      Liebe Grüße
      Vanessa

  7. Im Moment hat meine Vespa einen Standschaden und will nicht mehr anspringen! Wahrscheinlich ist sie auf mein neues Bike eifersüchtig …
    Ansonsten hebe ich nichts mehr „für gut“ auf. Weder Weine, noch Klamotten oder sonstiges. Oder Pläne!
    LG
    Sabiene

    1. Wenn du mit einem neuen Bike unterwegs sein kannst, soll die Vespa doch zicken 😉.
      Die Pläne, die man auf irgendwann verschiebt, sind auch so ein Ding. Ich muss zugeben, das klappt bei mir noch nicht. Wobei die Pläne eher unkonkret sind, wie waberige rosa Zuckerwatte. Das Leben überrascht einen am Ende eh immer mit ganz anderen Wendungen. Vor einem Jahr hätte ich noch nicht gedacht, dass ich heute in einer anderen Firma arbeite. Vom Hausbau, den ich mir vor 3 Jahren gar nicht hätte vorstellen können, will ich gar nicht erst anfangen. Es wäre wohl sinnvoller, von Wünschen zu sprechen, statt von Plänen. Und beides kann sich immer wieder ändern, verbissen dran festhalten, bringt nichts (ok, jetzt hab ich das mit den ‚Plänen aufheben‘ auch kapiert 😄).

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