Na dann gute Nacht
Manchmal kommt es vor, dass man sich wie ein Alien fühlt. Man sitzt in einer Runde Menschen, die fröhlich über ein Thema diskutieren und fragt sich, was es da eigentlich stundenlang zu diskutieren gibt. Gerade bei völlig profanen Dingen teilen sich die Mitredenden manchmal in zwei Lager, die mit ihren unterschiedlichen Standpunkten nicht radikaler sein könnten. Und dann wird stundenlang über völlig unwichtiges Zeug gestritten, ohne dass man zu einem Konsens kommt. Im Gegenteil, eine Entscheidung scheint regelrecht vermieden zu werden. Man könnte fast meinen, es hätte tödliche Konsequenzen, wenn man sich auf ein gemeinsames Ziel einigen könnte.
Eigentlich hatte ich schon mal zum Thema Decision Fatigue geschrieben. Allerdings habe ich dabei einen Aspekt gar nicht beleuchtet, der mir im Nachhinein aber besonders interessant erscheint.
Nicht nur die Menge an Optionen kann einen überfordern, auch die Tagesform bzw. der eigene Biorhythmus haben einen nicht unerheblichen Einfluss auf unsere Entscheidungsfindung. Denn mit jeder einzelnen Entscheidung, jedem Abwägen von Pro und Contra, verbraucht unser Gehirn Energie. Und umso mehr Entscheidungen wir treffen, umso mehr Energie benötigen wir dafür. Auch besonders komplexe Sachverhalte kosten entsprechend mehr Kraft. Das wir davon irgendwann ermüden, ist eigentlich kein Wunder. Und trotzdem ist es den wenigsten wirklich bewusst.
Dabei kann diese Entscheidungsmüdigkeit gewichtige Auswirkungen haben. Eine Untersuchung hat die Häufigkeit der Pausen von Richtern mit ihren Entscheidungen bezüglich Haft- oder Bewährungsstrafen analysiert. Im Ergebnis verhängt ein ausgeruhter Richter mildere Strafen während vor der Mittagspause, wenn die Müdigkeit höher ist, strengere Strafen verteilt werden. Die beste Entscheidung, die ein Richter an einem Tag machen kann, ist folglich die, eine Pause zu machen.
Eine andere Studie hat den gleichen Effekt bei Bankmitarbeitern beobachtet. Haben diese einen Antrag zu bearbeiten, in dem ein Kunde um einen Zahlungsaufschub der zurückzuzahlenden Kreditraten bittet, so nahm die Anzahl der Ablehnungen jeweils vor der Mittagspause und vor Feierabend zu. Ein müdes Gehirn wählt eher die sichere Variante, eine Ablehnung war für die Bank der sicherere Weg. Überraschender Weise haben jedoch gerade die Kunden, deren Antrag auf Zahlungsaufschub genehmigt wurde, ihren Kredit zuverlässiger getilgt als die Kunden, deren Antrag abgelehnt wurde. Dadurch ist aus dem vermeidlich sicheren Weg für die Bank ein Verlust geworden.
Das Problem sind also nicht alleine die vielen hundert Joghurtsorten im Kühlregal, sondern oft auch der Umstand, dass wir nach einem langen Arbeitstag noch kurz in den Laden springen. Da ist man dann müde und hungrig und trifft in der Folge nicht immer die besten Entscheidungen. Eigentlich will man ja etwas Gesundes und Leichtes, greift dann aber zur Tiefkühlpizza. Geht so schön schnell und unkompliziert und dank Chemiebaukasten sowie reichlich Zucker und Salz schmeckt das ganze auch noch. Und selbst wenn man einen etwas anspruchsvolleren Gaumen hat, lassen sich die Fertiggerichte mit ein paar Zutaten schnell zu einer leckeren aber leider noch nicht viel gesünderen Mahlzeit pimpen.
Und weil die Supermärkte wissen, dass wir müde und hungrig sind, lassen sie uns auf dem Weg zur Kasse noch an vielen süßen Versuchungen vorbeilaufen. Wer da abstinent bleiben will, erlebt den reinsten Spießrutenlauf. Selbst wer es bis zur Kasse geschafft hat, muss noch konsequent an seiner Entschlossenheit arbeiten. Die Quengelware wirkt nicht nur bei kleinen Kindern.
Wichtige Entscheidungen, von denen auch andere Menschen betroffen sind, sollten wir folglich nicht übermüdet und/oder unter Druck fällen. Wer viele Entscheidungen an einem Tag treffen muss, sollte vor Entscheidungen mit großen Auswirkungen eine Pause einlegen oder diese auf einen anderen Tag verschieben.
Allerdings sollte man wichtige von unwichtigen Entscheidungen unterscheiden können und am Ende auch wirklich eine Entscheidung treffen. Sonst treibt die Diskussion eben so seltsame Blüten und man verliert sich in bedeutungslosem Kleinklein, statt wirklich etwas voranzubringen. Da wird dann stundenlang darüber gestritten, ob nun veganer Grillkäse neben koscherem Gemüse auf dem Grill liegen dürfen – und am Ende hat man völlig vergessen eine Einladung rauszuschicken und überhaupt hat man so lange diskutiert, dass der Sommer sich schon wieder verabschiedet hat.
Manchmal glaube ich, dass ist Taktik, um sich entweder wichtig zu machen und zu profilieren oder um unliebsame Themen einfach auszusitzen. Wenn man die Entscheidung nämlich lange genug heraus zögert, erledigt sich manches quasi von selbst.
Schönes Beispiel – die Abschaffung der Sommerzeit bzw. Zeitumstellung. Denn es ist ja längst nicht entschieden, ob wir dann zur Sommer- oder Winterzeit übergehen. Wissenschaftlich ist das Thema längst aufgearbeitet, bis ins aller letzte Detail, die Ergebnisse liegen vor. ABER niemand will eine Entscheidung treffen, außer vielleicht die vielen Menschen, die bei der Volksabstimmung mitgemacht haben. Wie jetzt? Es gibt eine Entscheidung aber keiner kann sich entscheiden, diese auch umzusetzen? Ja, so läuft es halt in der Politik. Das ist auch nur ein Job für ganz hartgesottene Entscheidungsaussitzer.
Zurück im Supermarkt hilft uns das jetzt alles wenig. Wir haben Hunger, aussitzen ist also keine Option. Und auch wenn wir nicht nur für uns selbst einkaufen, also andere Menschen von unserer Entscheidung mit betroffen sind, ist es doch nicht so weltverändernd, wofür wir uns entscheiden, dass wir uns Sorgen machen müssten.
Kurioser weise wünschen sich die Menschen ein Höchstmaß an Auswahl und Freiheit. Stehen sie dann aber vor einem Regal mit endlosen Varianten desselben Produktes, sinkt die Kauflust. Ein Zuviel an Auswahl ist also auch nichts. Die offensichtliche Reizüberflutung lähmt uns, das Ganze nennt sich dann Auswahlparadoxon und artet gerne mal in richtig fiesen Stress aus.
Am Ende hadern wir mit unseren Entscheidungen. Habe ich die richtige Marmelade gekauft, hätte ich nicht doch lieber mehr Gemüse in den Wagen packen sollen? Und dann geht es noch viel weiter – hätte ich lieber einen günstigeren Urlaub buchen sollen, habe ich ein zu teures Auto gekauft, war das zehnte Paar Schuhe wirklich notwendig?
Gegen die Entscheidungsmüdigkeit helfen also zwei ganz einfache Dinge:
- Ausruhen, Pausen machen und Energie tanken
- Die Auswahl verringern
Der zweite Punkt geht ganz in Richtung Minimalismus. Habe ich weniger Kleidung im Schrank, muss ich mir nicht stundenlang überlegen, was ich anziehen möchte. Beschränke ich mich auf das Notwendige und Sinnvolle, brauche ich mich nicht mit einem schlechten Gewissen rumschlagen. Und fokussiere ich mich auf die wichtigen Menschen in meinem Leben, brauche ich nicht mehr auf allen Hochzeiten zu tanzen.
Und zum Einkaufen gehe ich einfach in einen kleinen, feinen Supermarkt, der eben nur ein ausgewähltes Sortiment hat. Mit Einkaufszettel bin ich schnell durch den ganzen Laden durch, muss mich nicht mit 1000 Varianten desselben Produktes befassen und habe Zeit für schönere Dinge. Verhungern werde ich deswegen ganz sicher nicht.
hhhmmmm……
ich glaube, das ist eine charakterfrage.
ich habe einen alten freund, der ist schon echt überfordert, wenn 2 sorten marmelade auf dem tisch stehen. von „echten entscheidungen“ gar nicht zu reden – und wenn dann doch mal endlich eine gefallen ist, weil es nicht zu vermeiden war, dann wird bis zum st.nimmerleinstag gehadert…….
für mich dagegen fühlen sich all die alltäglichen entscheidungen gar nicht nach welchen an – und ich hadere auch nie mit den getroffenen. grosse auswahl überfordert mich nicht die bohne (z.b. mein riesenkleiderschrank!) – und wenn es keine gibt – auch gut. mein alter freund ist immer völlig fassungslos, wie ich ohne diskussion, ewig überlegen und hinz&kunz um rat fragen durchs leben gehe 😀
und selbst die „grossen“, „wichtigen“ entscheidungen im leben habe ich nach nur kurzem drübernachdenken gefällt – denn seien wir mal ehrlich: ein garantieschein hängt nicht dran am leben.
und mit leuten (der anfang deines posts), die nur um des diskutierens willen diskutieren, gebe ich mich nicht ab – leben ist zu kurz und anstrengend genug.
und NIE hungrig einkaufen gehen. 1x die woche zeit nehmen und gründlich einkaufen – spart zeit, nerven, geld, kalorien und ist sooo viel gesünder!
xxxx
Oje, als wir mal nicht hungrig einkaufen gegangen sind, waren wir so kaufunlustig, dass die Vorräte danach nicht mal eine halbe Woche gereicht haben. Wir kaufen zwar auch nur mit Liste und nichts besonderes aber mit etwas Hunger im Bauch erinnert man sich auch eher an die leeren Pastavorräte, die man vergessen hatte, zu notieren.
Als fast schon zu entscheidungsfreudiger Mensch finde ich diese Eigenschaft auch bei anderen toll! Im Arbeitsalltag sind halt manchmal Kompromisse gefragt. Wenn es aber menschlich passt, kann man auch mit Zauderern und andere (Diskussions-)Marotten ganz gut leben.
Um es gleich vorneweg zu nehmen: mit Entscheidungen tue ich mich so ganz und gar nicht schwer. Im Gegenteil: zack, und ich habe mich entschieden- meist einfach aus dem Bauch heraus. Ganz egal, worum es geht. So bin ich zu meinen Dicken gekommen, unverhofft zu einem Auto, zu Wohnungen sowieso- und achso: zum HH übrigens auch! Das war (gegenseitig!) eine Sache von 2 Tagen. Inzwischen sind 24 Jahre draus geworden- kann also nicht ganz verkehrt gewesen sein, diese Entscheidung! 😁 Ich habe einfach keine Lust, hin und her abzuwägen, gegenzurechnen, zu vergleichen. Entweder es passt- oder eben auch nicht. Und erstaunlicherweise habe ich (die meisten) Entscheidungen auch nicht bereut. Bei den Zweien, bei denen ich mich in meinem Leben so richtig vertan habe, war es dann schlussendlich auch eine ganz klare, völlig emotionslose Entscheidung, die Sache zu beenden….
HH ist da ganz anders: ein neues Auto zu kaufen ist bei ihm ein Akt von etwa einem halben Jahr. Aber wie heisst es so schön: Gegensätze ziehen sich an, nichtwahr?
Beim Einkaufen orientieren wir uns an einer Liste und kaufen eh‘ immer die gleichen, bewährten Produkte. Da weiss man, was man hat!
Natürlich gestehe ich andern zu so lange zu überlegen, wie sie wollen, bevor sie sich entscheiden. Sobald ich dann persönlich involviert sein sollte und es mir zu lange dauert, klinke ich mich halt aus. Und gehe einfach meinen eigenen Weg, *gg*!
Halte dich schön kühl, herzliche Grüsse!
Finde ich gut – nicht lange rum machen und wenn nötig auch einfach mal den Mut haben, eine neue Entscheidung zu treffen. Wir tun immer so, als müssten wir den einmal eingeschlagenen Weg bis zum bitteren Ende gehen. Dabei ist eine Korrektur besser, als gar nicht erst loszulaufen.
Hier muss ich mich manchmal auch ein bisschen bremsen (lassen) aber alles noch im erträglichen Rahmen. Ein bisschen gegensätzlich kann schon gut sein, wenn es sich eher ergänzt als bekämpft. Sonst wären wir wahrscheinlich auch nicht glücklich miteinander.
So kühl brauche ich es gar nicht 🙂
Als ausgewachsene Frostbeule liebe ich dieses Wetter, auch wenn man zugegeben bei der Hitze ziemlich lethargisch wird. Bin leider nur ein Schattenpflänzchen. Aber wenn um mein schattiges Plätzchen herum die Sonne scheint, bin ich glücklich.
Ein sehr wichtiges Thema. Eigentlich sind es ja gleich mehrere, die hier rein spielen. Zum einen die Tatsache, dass Entscheiden anstrengend ist. Wir wollen immer eine möglichst große Auswahl, aber im Endeffekt sind wir damit nicht glücklich. Ich bringe da immer das Shampoo-Problem. Du willst also Haarwaschmittel kaufen. Du informierst dich über die Inhaltsstoffe, überlegst, ob du wegen des Plastikmülls ein festes Produkt kaufen willst. Dann soll das ganze ja noch schöne Haare machen, verträglich sein und nicht den größten Teil deines Gehalts auffressen. Nach einigen Fehlversuchen und viel Studium hast du das für dich perfekte Produkt gefunden. Jetzt könntest du dich dem Thema Zahnpasta zuwenden. Nur, was passiert? Dein Shampoo wird plötzlich nicht mehr verkauft.
Es ist also nicht nur das Problem des „Abends-hungrig-einkaufen“, sondern auch die Taktik der Industrie, uns die Auswahl so anstrengend wie möglich zu machen, damit die Werbung effektiver ist.
Ich sehe aber genau wie du Minimalismus als guten Ansatz. Je weniger Entscheidungen man sich selbst aufgibt, desto mehr Energie bleibt wie für die wichtigen Dinge.
Danke für den tollen Artikel.
Ich glaube, ich nehme deinen Blog in meinen Wochenstart auf. Ist sehr inspirierend.
Liebe Grüße
Susan
Liebe Susan,
danke für die Blumen 🥰. Ich könnte auch immer einen Schimpfkrampf bekommen, wenn mal wieder das bevorzugte Produkt aus dem Sortiment geflogen ist. Alleine schon, wenn Rezeptur oder Verpackung „verbessert“ wurde. Braucht kein Mensch! Vor allem bei alltäglichen Dingen wie Shampoo oder Zahncreme braucht man doch eigentlich keine Abwechslung – bei Gesichtscreme kann das ja sogar kontraproduktiv sein. Da aber der Großteil des Einkaufes tatsächlich mit bewährten Produkten funktioniert, kann ich die kleineren Entscheidungsfindungsprozesse ganz gut wegstecken.
LG
Vanessa