Minimalismus

Die Schattenseiten des Minimalismus – was einem vorher keiner erzählt

Achtung – das ist jetzt alles nicht ganz ernst gemeint…

Sodele (das ist schwäbisch für ‚na also‘), die Wohnung ist leer, der Mülleimer voll und der Geist in einem berauschten Zustand von Befreiung und Leichtigkeit. Wer sich ein ordentlicheres Zuhause wünscht, stolpert früher oder später über den Begriff Minimalismus. Und kaum hat man angefangen, all die unnützen Sachen auszusortieren, ist es wie eine Sucht. Am Ende will man nicht mal mehr neue Sachen haben, ist es doch so schwer, die am Ende wieder loszuwerden.

Doch das ganze hat auch seine Schattenseiten, über die redet nur niemand. Also reden wir mal Klartext, denn so kann es ja nicht weitergehen.

Macht sich denn keiner Gedanken um die Wirtschaft? Wie soll das denn mit dem unendlichen Wachstum funktionieren, wenn wir nicht alle mit anpacken und unsere Aufgabe als braver Konsument erfüllen?! Da gibt es doch tatsächlich Menschen, die ganz ohne schlechtes Gewissen ihrer wirtschaftlichen Verpflichtung entsagen. Schämt euch!

Aber gut, wer nichts kauft, hat am Ende womöglich Geld übrig. Da kommen wir aber gleich zum nächsten Negativpunkt. Jetzt muss ich mir doch tatsächlich Gedanken machen, was man mit diesem Geld anfängt. Ach waren das schöne Zeiten, in denen sich diese Frage gar nicht gestellt hat. Altersvorsorge, Geldanlage und Rücklagen – das sind doch staubtrockene Themen. Wäre das wichtig, hätten wir bestimmt in der Schule etwas darüber gelernt.

Ich kann das Geld nicht mal für ein raffiniertes Ordnungssystem ausgeben. Ich hab ja nichts mehr, was es zu verstauen und zu ordnen gilt. Auch in meinem Schrank sehe ich auf einen Blick, was ich habe. So brauche ich morgens nur zwei Minuten, um mich anzuziehen. Was mache ich nur mit der vielen Zeit, ich mag gar nicht davon anfangen, wie viel davon ich beim Putzen und Aufräumen einspare. Aus lauter Verzweiflung trinke ich morgens gemütlich eine zweite Tasse Kaffee und renne danach völlig aufgedreht durch die Gegend.  

Mit all der Energie könnte ich ja Shoppen gehen. Doch halt – das geht ja auch nicht. Macht nämlich keinen Spaß und man braucht ja eh nichts. Und wenn doch, macht es noch weniger Spaß. In vielen Läden hängt nämlich hauptsächlich Fast Fashion – Mode, die jahrelang hält, ist heute einfach nicht mehr zeitgemäß. Wer will denn schon mehrere Male denselben Pulli tragen?!

Und dann hat man noch nicht mal so einen richtigen Wäscheberg. Was soll man nur machen, wenn man nach einer Ladung Wäsche schon wieder fertig ist?! UND IN DEN SCHRANK IST ES AUCH SCHON EINSORTIERT, ARGHHHH.

Und wenn wir mal unvermittelt 20 Kilo zunehmen oder auf dem Weg ins Kino, hoppala, aus Versehen 5 Kilo an der Bushaltestelle vergessen haben? Dann haben wir gar keine x verschiedenen Kleidergrößen im Schrank. Spontane Gewichtsveränderungen sind also nicht drin.

Im Halbschlaf mal wieder Deo und Haarspray verwechselt? So einen Spaß hat man leider auch nicht, wenn der Badezimmerschrank zu übersichtlich ist. Womöglich steht sogar alles immer am selben Platz. Damit setzen wir uns einer hochgradigen Verkalkungsgefahr aus. Das Gehirn muss doch fit gehalten werden. Ein bisschen Chaos kann da helfen, aber als Minimalist hat man da keine Chance und auch keine Anekdoten zu erzählen.

Man wird also ein ziemlich langweiliger Mensch, der seinen Mitmenschen nur noch davon vorschwärmt, wie toll der Minimalismus ist – gerne auch ungefragt, wie es sich gehört. Soll ja jeder teilhaben von den erleuchteten Erkenntnissen. Immerhin vermeidet man so, dass ungefragt Gäste aufkreuzen. Die müsste man ja im Zweifel sogar einlassen, denn es ist ja jederzeit ordentlich aufgeräumt. Wer will schon Menschen um sich haben.

Auch bei den Wocheneinkäufen geht es ganz schön langweilig zu. Man kauft, was man (ver-)braucht und hat womöglich noch einen Einkaufszettel. Der Blick in den Kühlschrank ist überhaupt nicht spannend. Und was macht man jetzt nur mit einem kompletten Samstag, wenn man weder einen monströsen Großeinkauf unternimmt noch viel zum Putzen hat.

Ist man nicht völlig überflüssig und nutzlos, wenn man so viel freie Zeit im Kalender hat. Wer etwas auf sich hält, hat doch immer mindestens 3 Termine parallel. Dann hat man auch Auswahl, und wer heutzutage etwas auf sich hält, ist doch auch immer schön im Stress. Wer nicht gestresst ist, kann doch nicht normal sein.

Was wir eigentlich meinen, wenn wir vom Minimalismus schwärmen, sind die Kernkompetenzen, die ein guter Minimalist in sich vereint – Genügsamkeit und Kontrolle.

Wer nicht viel braucht, ist mit dem, was er hat zufrieden. Außer natürlich, er hat nicht, was er braucht. Deshalb darf man sich ja auch nicht Minimalist nennen, wenn man sich den ganzen Krempel einfach nicht leisten kann. Man muss schon dürfen können aber darf nicht wollen.

Als waschechter Kontrollfreak liebe ich es natürlich auch, genau zu wissen, was sich wo in meinem Haushalt befinden. Der absolute Überblick lässt sich mit diversen Zählmethoden erreichen. Doch Obacht, Socken nicht einzeln zählen und Unterwäsche zählt gar nicht – oder doch?

Aber Kontrolle und Genügsamkeit klingen halt so unsexy und spießig. Da muss dringend ein eingängiges Modewort her. Wer will schon von sich sagen, er sei ein Genügsamer. Da klingt Minimalist viel interessanter, ja das macht was her.

Und das Schöne ist ja, dass es gar nicht die abgezählten 100 Dinge braucht, um sich Minimalist zu schimpfen. Jeder kann und darf für sich selbst definieren, was für ihn das richtige Maß ist und in welchen Bereichen man vielleicht sogar eine Ausnahme macht. Denn auch ein echter Minimalist darf ein Hobby haben. Vorzugsweise zwar eines, dass sich ohne Zubehör ausführen lässt. Aber wir sind nun mal nicht alle passionierte Spaziergänger oder meditieren gerne. Und so klammern wir die voll ausgestattete Werkstatt, die teure Sportausrüstung und die Kisten voll Bastelkram oder Nähzubehör einfach großzügig aus.

Sch… auf den Cluttercore – Es lebe der Minimalismus!

11 thoughts on “Die Schattenseiten des Minimalismus – was einem vorher keiner erzählt

  1. Vielen Dank für die Unterhaltung!
    Nicht zu vergessen: Der Minimalist hat auch eine seltsame Neigung bezüglich der Unterstützung des internationalen Warenverkehrs – der Minimalist beißt auch gerne mal in einen regionalen 🍎.

  2. hihi!
    die reinsten horrorszenarien malst du da an die weissgekalkte wand! FREIE ZEIT! grauenvoll. am ende kommt man noch ins nachdenken. schreckliche vorstellung……. (denn als minimalist kann man ja nochnichtmal die zeit mit 168ten bastei.lübbe.reissern/jahr totschlagen*)(*zahl willkürlich aus leselisten diverser blogger generiert)
    ich bin übrigens ein ganz schlimmer minimalist – ich habe tatsächlich kein hobby!
    ;-P
    xxxx

  3. Herrje. Jetzt hast du mich erwischt. Aber sowas von! Ich schäme mich ja schon die ganze Zeit in Grund und Boden- aber dass es jetzt jemand so dermassen beim Namen nennt, das erschüttert mich bis ins Mark. Natürlich sind Typen wie ich auch und sowieso Schuld an der Inflation; die arme Industrie nagt unseretwegen inzwischen so dermassen am Hungertuch, dass die Preise für jedwelche Produkte einfach massiv heraufgesetzt werden MUSSTEN, damit nicht die ganze Wirtschaft mit lautem Getöse in sich zusammenkracht!
    Ich werde jetzt in mich gehen , meine angehäufte freie Zeit nutzen und sehen, ob ich was an diesem / meinem egoistischen, rücksichtslosen Verhalten ändern kann…..🥴

    1. Das ist schön, dass du dein unglaublich wirtschaftsschädigendes Verhalten einsiehst 😉. Selbsterkenntnis ist ja bekanntlich der erste Weg zur Besserung.
      Und immerhin stehe ich jetzt nicht mehr alleine in der Schäm-Ecke 😥.
      In diesem Sinne – frohes Shoppen!

  4. Vielen Dank für diesen wunderbaren gedanklichen Spaziergang. 😉 Wieder so eine Sau, die durchs Dorf getrieben wird. Mal sehen, was als Nächstes kommt. 😉 Und falls mal zu viel Zeit und Geld übrig ist, es gibt so viele Möglichkeiten, Gutes zu tun.

    Vielen Dank für Deinen Kommentar auf meinem Blog. Ich freue mich schon auf Deinen ersten Monatsrückblick. Liebe Grüße, Marita

    1. Das mit dem Monatsrückblick kann wohl noch eine Weile dauern. Für den Anfang versuche ich das zumindest aber mal für mich selbst. Das Jahr ist einfach schon so turbulent und abwechslungsreich, das ist auch für mich spannend. Aber dank der Rückblicke anderer reflektiere ich auch mehr, was alles passiert ist.

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