Nur Geduld – wenn Ausdauer sich auszahlt
Wer kennt sie nicht, die Warteschleife beim Kundenservice eines beliebigen Unternehmens. Oft hinterlegt mit nervtötender Musik, gerne unterbrochen von Werbeansagen oder anderen wenig hilfreichen Infotexten. Und doch halten wir das aus, im besten Fall ohne am Ende all unseren Unmut über den Menschen, der am Ende tatsächlich unseren Anruf entgegennimmt, auszuschütten.
Noch herausfordernder sind Situationen, auf die wir überhaupt keinen Einfluss haben. Der absolute Klassiker ist der Stau im Feierabendverkehr. Im Gegensatz zur Warteschleife am Telefon, wo ich einfach auflegen könnte, kann ich im Stau nicht einfach aussteigen und mein Auto mitten auf der Straße stehen lassen.
Geduldig sein klappt mal mehr und mal weniger gut. Dazu kommt, dass wir immer weniger dazu in der Lage sind, auf etwas zu warten. Die neuesten Produkte und Trends sind nur einen Klick entfernt und Dank Expresslieferung auch schon am nächsten Tag bei uns zu Hause. Die sofortige Bedürfnisbefriedigung, auch als Instant Gratification Effekt bekannt, hat uns quasi zur Ungeduld erzogen, genauso, wie die ständige Erreichbarkeit. Unbeantwortete Nachrichten lassen uns immer wieder nervös unseren Posteingang prüfen, bei mehr als zwei Kunden vor uns in der Warteschlange schreien wir sofort nach Öffnung einer weiteren Kasse. Wir erwarten eine ständige Verfügbarkeit von allem und jedem. Immer im Stress, unter Volldampf und Hochdruck – und dann werden wir einfach ausgebremst…
Tief durchatmen – das Einzige was hilft, ist die Einsicht, dass wir es nicht ändern können. Wenn wir die Situation akzeptieren, nimmt uns das den inneren Druck.
Durch unsere Ungeduld ändert sich nichts an der Situation, auch permanentes Hupen wird den Stau nicht auflösen. Wir müssen einsehen, dass manches einfach außerhalb unserer Kontrolle liegt, auch wenn wir noch so gerne alle Fäden in der Hand halten.
Wachstum im Zeitraffer
Und Geduld kann sich bezahlt machen. In der Natur braucht alles seine Zeit. So spannend das Wachstum im Zeitraffer ist, dass man manchmal in Naturdokus sieht, die Realität sieht anders aus. Stecke ich Samen in die Erde, muss ich darauf vertrauen, dass irgendwann zarte Blättchen an die Oberfläche treiben. Es kann aber auch passieren, dass am Ende gar nichts wächst. Bis dahin kann ich aber nicht jeden Tag in der Erde graben, um zu schauen, ob schon Wurzeln da sind. Dann wächst da definitiv nichts mehr!
Ein Augenblick der Geduld kann vor großem Unheil bewahren. Ein Augenblick der Ungeduld ein ganzes Leben zerstören.
Voltaire
Wir haben die Wurzel eines Flieders umgesetzt und hoffen nun, dass diese wieder anwächst. Außer gießen und warten können wir nicht viel tun. Vielleicht wird unsere Geduld am Ende belohnt aber es wird definitiv eine ganze Weile dauern, bis wir sehen, ob unsere Mühe vergebens war oder eben nicht. Vieles lässt sich einfach nicht von heute auf morgen erzwingen. Ein Baum braucht ebenso seine Zeit zum wachsen, wie ein Lebewesen.
Schlank im Schlaf
Wobei wir Menschen mit dem Wachsen ja keine Probleme haben, vor allem in die Breite geht es oft schneller als gewünscht. Dann in die andere Richtung hingegen kann es wieder gar nicht schnell genug gehen. Gerade zum Sommer hin versprechen uns die Überschriften an jeder Ecke mal eben 10 Kilo in zwei Tagen loswerde zu können. Und obwohl wir genau wissen, dass solche Crashdiäten nicht funktionieren, kaufen wir entsprechende Bücher und Zeitschriften. Und schon nach der ersten Joggingrunde und dem Salat ohne alles steigen wir mit großen Erwartungen auf die Waage – um gleich mal enttäuscht zu werden.
Was man bei einer Diät am schnellsten verliert, ist die Geduld.
Helmut Schmidt
Was sich mindestens so gut verkauft, wie Verheißungen von der perfekten Bikinifigur (dem Meer ist es übrigens egal, was für eine Figur du hast), ist das Versprechen vom schnellen Geld. Eigentlich ist jedem klar, dass es den Reichtum über Nacht eben nicht so einfach zu erreichen ist. Wer nicht gerade reich geerbt oder den Lotto Jackpot geknackt hat, braucht für den finanziellen Reichtum entweder ein glückliches Händchen am Anlagemarkt (verbunden mit hohem Risiko) oder eben Geduld.
Reich über Nacht
Nicht ohne Grund ist die „Buy and Hold“ Strategie, also Kaufen und Liegenlassen, so beliebt wie erfolgreich. Denn um den für den Aktienkauf bzw. -verkauf perfekten Ein- und Ausstiegszeitpunkt zu treffen, bräuchte man eine Glaskugel. Und bei jeder Transaktion freuen sich Bank und Broker. Nicht umsonst besagt eine Börsenweisheit „Hin und Her macht Taschen leer“. Von kurzfristigen Kursschwankungen lässt sich der geduldige Anleger nicht aus der Ruhe bringen.
Reichtum besteht aber nicht nur aus einem prall gefüllten Konto. Wirklich reich ist der, der mit dem zufrieden ist, was er besitzt. Das muss kein materieller Besitz sein, denn all das verliert seinen Wert, wenn wir einsam oder krank sind. Man vergisst das schnell, solange man gesund ist. Doch fragt man jemanden, der gerade mit gebrochenem Fuß zu Hause eingesperrt ist, genießen die wenigsten die auferzwungene Auszeit.
Immer fit und leistungsfähig
Unsere Gesundheit ist unbezahlbar und auch hier braucht es manchmal Geduld. Eine Erkältung zu kurieren, dauert ganze sieben Tage, mit Medikamenten braucht es nur eine Woche. Und so bringt es in vielerlei Hinsicht mehr, auf den Körper zu hören und ihm die Pause zu gewähren statt sich mit allerhand teuren, frei verkäuflichen Arzneimitteln vollzupumpen. Denn am Ende dankt es einem niemand, wenn man sich krank zur Arbeit schleppt. Im Gegenteil – hat man am Ende alle Kollegen angesteckt, wird es teurer, als wenn einer ein paar Tage ausfällt.
Tipps für den Ernstfall
Trainieren wir also lieber unsere Geduld. So wie wir auch andere Fähigkeiten durch Übung verbessern können, klappt das auch im Bezug auf unsere Gelassenheit und Ausdauer. Wenn wir uns bewusst dafür entscheiden, geduldig zu sein, gewinnen wir die Kontrolle über die Situation. Wir sind unseren negativen Gefühlen nicht hilflos ausgesetzt. Und wenn es mal so gar nicht klappt mit der Geduld, helfen vielleicht ein paar Tricks
- Mit Ablenkung zumindest gedanklich aus der Warteschleife ausbrechen. Nicht ohne Grund liegen in den meisten Wartezimmern Zeitschriften. Wobei heutzutage fast jeder sofort das Handy zückt, um die Warterei – wo auch immer – nicht aushalten zu müssen. Alternativ könnte man die Zeit auch einfach dankbar nutzen, um die Gedanken einfach mal schweifen zu lassen.
- Die Zeit, die ich warten muss, kann ich auch für mich nutzen, statt sie als verlorene Zeit zu werten. Im Stau kann ich Musik oder Hörbücher hören. Beim Warten auf den Friseur habe ich endlich mal Zeit, ungestört zu lesen. Und an der Kasse kann ich ganz ungeniert die Einkäufe meiner Mitmenschen begutachten (und mir dazu Geschichten ausdenken).
- Den selbstgemachten Druck rausnehmen. Ganz oft sind wir alles andere als unschuldig an der Hektik, die uns durch den Tag treibt. Wir müssen dies und das noch unbedingt erledigen. Dabei müssen wir vieles überhaupt nicht. Den Besuch interessiert es in der Regel nicht, ob ich Staub gewischt habe.
- Und auch die anderen müssen gar nichts. Hin und wieder hilft es auch, die eigene Erwartungshaltung runter zuschrauben. Klar möchte ich, dass der Zug pünktlich kommt. Aber die Zugbegleitung kann es nicht ändern. Da hilft es nicht, wenn ich als einer von vielen Verspäteten der Meinung bin, mir stehe eine Sonderbehandlung zu.
- Es liegt in meiner Hand, wie ich mit der Situation umgehe. Ich alleine habe die Wahl, mich provozieren zu lassen und mit allem und jedem zu hadern. Statt mich als Opfer zu sehen, kann ich aber auch einfach akzeptieren, dass die Situation so ist. Der Stau ist bestimmt nicht ganz alleine deswegen entstanden, um mich persönlich zu ärgern.
- Ich kann meinen Blick auf die kleinen Fortschritte lenken. Schritt für Schritt, Meter für Meter und Kunde für Kunde nähern wir uns unserem Ziel. Der Sommer kommt auch nicht auf einen Schlag sonder nimmt im Frühling Anlauf. Blatt für Blatt und Blüte für Blüte schleicht sich die warme Jahreszeit langsam heran.
- Und das Ziel ist am Ende die Belohnung, die ich mir vor Augen halten kann. Zugegeben, bei einer kleinen Warteschlange feiere ich nicht, dass ich endlich an der Reihe bin. Aber beim Warten auf einen Handwerker ist es genau dieses große Ziel, dass mich hoffen lässt, dass am Ende alles gut wird.
- Manche Prozesse und Ziele erfordern einfach mehr Zeit und Ausdauer. Wer schon mal ein Haus gebaut hat, weiß, wovon ich rede… Sich darüber aufzuregen, verlangt einem viel Energie ab, die man anderweitig besser investiert hätte.
- Und wenn Durchatmen nicht mehr hilft, denke ich mich ein paar Monate in die Zukunft. Eine Freundin sagte so treffen zu mir „in einem Jahr lacht ihr darüber“. Und am Ende hatte sie Recht.
- Apropos „darüber lachen“, Humor kann auch helfen – wenn es nicht gerade das wahnsinnige Kichern ist, wenn alles unkontrolliert den Bach runter geht. Wenn´s aber quer durch den Laden brüllt „Erna, was kosten die Kondome?“, muss man sich das Lächeln auch nicht verkneifen.
Doch auch wenn wir uns oft wünschen, geduldiger zu sein oder uns ganz bewusst ist, dass es nichts bringt, sich über Dinge aufzuregen, die wir nicht ändern können – Ungeduld ist nicht per se etwas Schlechtes. „Wenn wir für unsere Werte einstehen, kann Ungeduld in Ordnung sein.“ (Main Huong Nguyen) Oder bestimmte Situationen erfordern geradezu, dass wir ungeduldig und angespannt sind. Man stelle sich vor, der Rettungsdienst trudelt erst nach Stunden und völlig tiefenentspannt am Unfallort ein.
Was ist Ihre größte Schwäche?
Und nicht umsonst wird Ungeduld im Vorstellungsgespräch gerne als die größte Schwäche genannt. Zeugt das doch von einem dynamischen und tatkräftigen Charakter – so glauben wir. Die Frage mag genau so abgedroschen sein, wie die Antwort. Zumindest zeigt es aber, das Ungeduld durchaus ihre Daseinsberechtigung hat und wir nicht alle wie kleine geduldige Buddhas durch die Welt spazieren müssen.
Auf was wartet ihr gerade und wann reist euch der Geduldsfaden, noch bevor er überhaupt eingefädelt ist?
Liebe Queen,
Erfahrungen mit dem Warten haben wir sicher alle gemacht. Am schlimmsten sind für mich die endlosen Telefon Warteschlangen, wenn ich wirklich darauf angewiesen bin. Langsam habe ich gelernt, meine negativen Gedanken und Gefühle in diesen Situationen in den Griff zu bekommen. Das funktioniert gut durch Selbstbeobachtung, also Distanzierung von meinen eigenen Emotionen. Dein Artikel gibt Mut und Kraft für zukünftige anstrengende Wartezeiten, die sicher kommen werden.
LG
Klaus
Lieber Klaus,
die Telefonwarteschleifen sind wirklich mitunter die schlimmsten, vor allem wenn zur Unterhaltung „nette“ Musik läuft. Aber tatsächlich hilft es auch mir, wenn ich ganz bewusst darauf achte, mich davon nicht auf die Palme bringen zu lassen. Und die Mitarbeiter im Kundenservice danken es einem hinterher auch.
LG
Vanessa
oooohhhmmm******
ich würde wohl durch jedes vorstellungsgespräch fallen……. bin die geduld in person – nähen auf haute couture niveau und echtes gärtnern (nicht im gartencenter alle 3 wochen fix&fertige pflanzen kaufen und im garten eingehen lassen)…. haben mich das gelehrt.
allerdings werde ich ganz schnell ungeduldig mit menschen, die sich aus lauter bequemlichkeit und/oder egoismus dumm stellen – bzw. dummen menschen, die sich nicht die bohne bemühen, etwas dazuzulernen. dann platzt mir die hutschnur.
und: ich kann von jetzt auf gleich auf gefechtsalarm umschalten. tritt ein notfall ein, bin ich sofort mit werkzeug, verbandskasten und lösungen zur stelle – und schubse ganz ungeduldig die mit offenem mund in schockstarre verharrenden mitmenschen aus der gefahrenzone 😀
wünsche viel glück mit dem flieder – immer reichlich giessen im ersten jahr, dann sollte es klappen. flieder ist wie unkraut 😀
xxx
Das stimmt, Gärtner ist wirklich ein wunderbares Geduldstraining. Mal sehen, ob das was wird mit dem Flieder. Ich erwarte nicht, dass er dieses Jahr schon wieder austreibt. Aber so geduldig ich mich gerne gebe, ich liebäugle auch schon mit einem zweiten Flieder – nur zur Sicherheit 😉
Und manchmal ist Ungeduld lebensnotwendig, da sind mir die Menschen in Gefechtsalarm auch echt lieber als so ein stoischer Buddha.
Ein interessanter Post, merci!
Da ich ja der totale Gegenentwurf bin zu „schnell reich, schön, fit-und wasweissich sonstnoch!“, komme ich auch gar nicht in Versuchung, irgendwie in Hyperaktivität zu verfallen diesbezüglich. So besehen bin ich wirklich ein Buddha-Typ (sogar der Bauch nimmt langsam die entsprechende Form an, *ggg*!). In meinen Mitarbeiterbeurteilungen wird immer explizit auf meine „Ruhe auch in hektischen Situationen“ hingewiesen, und dass ich der „ruhende Pol im Team“ sei. Nüjaaa….alles andere ist mir einfach schlicht und ergreifend zu anstrengend. 😁
Nein, im Ernst: ich glaube, mein jahrzehntelanger Umgang mit Pferden (und Tieren im Allgemeinen) hat ganz viel dazu beigetragen. Die halten dir so gnadenlos den Spiegel vor! Mit Hektik und Hopplahopp kommt man da nirgendwohin. Das rächt sich sofort. Also immer mit der Ruhe, entspannt bleiben und geduldig. Wenn man das zwangsläufig jeden Tag über viele Jahre wieder und wieder übt und anwendet, dann geht einem das in Fleisch und Blut über. Und man tut sich selber gleich auch noch viel Gutes damit. (Nicht umsonst werden Pferde z.B. auch in Personalführungs-Coachings etc. mit einbezogen).
In Rage gerate ich eigentlich nur, wenn sich jemand Kindern, Tieren oder dem Planeten gegenüber mies verhält. Dann wirds aber richtig ungemütlich…..
Liebe Grüsse!
Das stimmt wirklich, Tiere sind auch ein ganz wunderbarer Geduldstrainer. Mit Pferden kenne ich mich zwar so gar nicht aus aber ich habe noch kein Tier erlebt, dass bei einem hyperaktiven, hektischen oder forschen Menschen nicht die Flucht ergreift. Hunde sind da vielleicht manchmal toleranter aber wenn es dann darum geht, ihnen etwas beizubringen, ist auch wieder Geduld gefragt.
Und wer sich mies verhält, hat´s nicht anders verdient!
Hey,
ach ja die liebe Geduld. Sie ist nicht wirklich meine Stärke. Aber ich versuche mich immer neu darin :).
Liebe Grüße!
Es gibt ja mehr als genügend Gelegenheiten, sie zu trainieren 😬
Wer kennt sie nicht, diese Momente … Ich bin mittlerweile aber sehr froh darum, da ich diese Zeit nutze, um mal durchzuatmen und meinen Geist zu entspannen. Ganz ehrlich, wann nehmen wir uns denn mal Zeit für uns? Solche Lücken können für eine kleine Pause super genutzt werden.
Viele Grüße
Dominik
Zeit für uns selbst nehmen wir uns definitiv zu selten, immer am Rennen, immer am Rotieren. Solche „Zwangspausen“ bewusst als Entschleunigung wahrzunehmen ist trotzdem nicht immer leicht.