Geschüttelt, nicht gerührt
Herbst. Da gibt es nichts mehr dran zu rütteln. Realitätsverweigerung hilft auch nicht. Stellen wir uns lieber den Tatsachen.
Während die einen über die Zucchinischwemme klagen, bereite ich mich so langsam auf eine überproportionale Chiliernte vor. Das heißt, es gibt reichlich Joghurt. Die Lieblingsmarke ist zwar pappsüß aber kommt im praktischen Mehrwegglas daher. Mit wenigen Inhaltsstoffen auf der Zutatenliste ist das wenigstens ehrlicher Süßkram und wenn es den dann auch noch im Sonderposten-Regal gibt, muss ich einfach zugreifen. Denn ganz ehrlich, bloß weil jemand ein Mindesthaltbarkeitsdatum aufgedruckt hat, ist Joghurt noch lange nicht schlecht. Im Gegenteil, das Zeug hält so lange darüber hinaus, dass ich gar nicht sagen kann, wann es tatsächlich drüber ist.
Was hat denn nun Joghurt mit Chilis zu tun? Ganz einfach. Die Gläser eignen sich hervorragend, um die getrockneten Schoten aufzubewahren. Generell werden hier gerade konsequent alle Ein- und Mehrweggläser gesammelt. Einen Teil bekommt die Schwiegermama für Marmelade, den Rest brauche ich für Gewürze. Mit dem bereits angelegten Vorrat bin ich ganz zufrieden und hoffe, dass wir damit über den Winter kommen.
Was ich auch noch in Unmengen ernten kann, sind Erdbeeren. Scheinbar haben wir Sorten, die von der üblichen Erdbeersaison nichts wissen. Die blühen unablässig und produzieren fleißig Früchte. Das Wetter ist zwar wenig zuträglich, zu viel Regen, zu wenig Sonne. Doch selbst, wenn nur die Hälfte der Beeren was wird, ist der Ertrag für diese Jahreszeit erstaunlich.
Was auch gerade reift, sind die Früchte der Andenbeere, auch als Physalis oder Kapstachelbeere bekannt und beliebt. Die ist als unscheinbares und mickriges Pflänzchen von gerade mal 20 cm im Hochbeet eingezogen und hat sich zu einem riesigen Strauch entwickelt. Ich bin immer wieder erstaunt, wie viel Biomasse aus einem kleinen Samen in nur einer Saison entstehen kann. Allerdings hatte ich die Auswüchse, die die auch als Andenbeere bekannte Pflanze annehmen kann, völlig unterschätzt. Anfängerfehler. Ich hatte mich auf die Angaben im Netz verlassen und nicht damit gerechnet, dass sie sich hier dermaßen wohl fühlt. Jetzt habe ich ein grünes Dickicht – oder eher einen fetten Knoten – aus Liebstöckel, Basilikum, Physalis, einer unerwarteten Tomatenpflanze und Chili. Mit den Chilis habe ich es eh übertrieben, aber woher soll man auch wissen, dass alle sieben Pflanzen sich so hervorragend entwickeln…


Die Physalis hingegen hätte ich sicher mit gezieltem Rückschnitt zu noch mehr und noch größeren Früchten erziehen können. Das wird dann die Hausaufgabe fürs nächste Jahr. So richtig beklagen kann ich mich andererseits auch nicht. Denn wir haben schon unzählige der kleinen Vitamin-C-Bomben geerntet und da kommen auch noch etliche. Man sieht sie in ihrer grünen Tarnhülle ja lange kaum. Dank der genialen natürlichen Verpackung sind die Früchte perfekt vor Wind und Wetter geschützt. Quasi eine Gelinggarantie und weder Schnecken noch andere Mitesser finden sich hier ein. Einzig Ohrenkneifer wissen die ballonförmigen Behausungen zu schätzen. Die sind aber gern gesehene Gäste im Beet und zeigen wirklich gute Manieren. Die Früchte interessieren sie nicht.
Ihren Namen tragen die Nützlinge zu Unrecht. Man hat ihnen früher tatsächlich mal unterstellt, sie würden nachts in unsere Ohren krabbeln, mit ihren Zangen ein Loch ins Trommelfell schneiden und dann ihre Eier da rein legen. Heute kann man mit solchen Märchen zum Glück höchstens kleine Kinder erschrecken. Im Garten sind die wuseligen Tierchen gern gesehene Gäste, stehen doch Blattläuse ganz oben auf ihrem Speiseplan.
Allerdings mussten wir unsere Gartenmitbewohner auf die harte Tour näher kennen lernen. Denn die ersten Früchte hatten wir natürlich erst mal in die Küche getragen und vor Schreck, dass einem da was entgegengewuselt kam, gleich mal fallen lassen. Die anschließende Jagd war für Ohrenkneifer und uns wahrscheinlich gleichermaßen nervenaufreibend. Dank „Konfrontationstherapie für Stadtkinder“ bin ich aber zwischenzeitlich recht geschickt darin, Insekten mit einem Glas einzufangen. Nachdem der kleine Krabbler erfolgreich zurück in die Natur verfrachtet werden konnte, gilt nun die Regel, dass jede Physalis zuerst vorsichtig über dem Beet geöffnet wird.
Was in der Theorie nicht besonders kompliziert klingt, scheitert in der Praxis hin und wieder an der Gedankenlosigkeit nach einem langen Arbeitstag. Zum Glück ist der Weg vom Terrassentisch ins Beet nicht weit und scheinbar weiß so ein Ohrenzwicker auch instinktiv, in welche Richtung er muss… Jetzt heißt es nur noch, die kleinen Lampions nach dem Ernten nicht zu schütteln. Das ist so ein Urinstinkt, der reflexartig ausgeführt wird. Der wenig amüsierte Bewohner hat das zwar ohne Schäden überstanden, ich meine aber, ein leises Grummeln vernommen zu haben.
Für die verbleibenden Früchte werde ich mich bemühen, weniger Aufregung bei den sechsbeinigen Bewohnern zu verursachen. Ein Umsiedlungsprojekt in Form von strohgefüllten Tontöpfchen ist schon in Planung. Vielleicht schaffe ich es sogar, die Früchte so aus den Lampions herauszuoperieren, dass diese intakt bleiben. So begehrter Wohnraum sollte schließlich erhalten werden, vor allem angesichts der nasskalten Herbsttage, die uns nun bevorstehen. Wenn der Wind die zarten Baumhäuschen durchschüttelt, kann ich dann aber auch nichts machen. Um den Herbst kommen wir nun mal alle nicht herum.
glückliche ohrenkneifer 😀
physalis hätte ich mich nicht getraut – wirken so tropisch und das ist es hier eher selten, zumindest in diesem jahr…. manchmal habe ich das gefühl, das einige pflanzen drauf stehen, in einem „verhau“ zu wachsen. eigentlich logisch, wenn man die natur so sieht – da stehts oft auch dichtandicht.
vorsicht bei „zufälligen“ tomaten – die haben manchmal sehr viel solanin – da hilft nichtmal kochen.
viel spass beim ernten! xxx