Linker Arm ganz schwer – Autogenes Training im Selbstversuch
Vor einigen Monaten entdeckte ich im Büchertauschregal ein originalverschweißtes Buch über Autogenes Training. „Kost ja nix“ hab ich mir gedacht und das Taschenbuch kurzerhand mitgenommen. So richtig viel anfangen konnte ich mir dem Begriff nicht aber man lernt ja nie aus und wer weiß, vielleicht lernt man ja sogar mal was dazu.
Das Buch selbst ist mit seinen knapp 150 Seiten schnell gelesen. Eine einfache Aufklärung, was es mit Autogenem Training auf sich hat sowie eine Anleitung für Anfänger und viele Beispiele und Affirmationen für Fortgeschrittene. Die optimistischen Versprechen haben mich tatsächlich neugierig gemacht also hab ich das ganze einfach mal ausprobiert.
Autogenes Training ist ein auf Autosuggestion basierendes Entspannungsverfahren.
https://de.wikipedia.org/wiki/Autogenes_Training
Was soll ich sagen – kurz zusammengefasst: schwer kann ich, warm nicht.
Man braucht nicht viel, das finde ich ja sympathisch. Aber was man braucht, ist gar nicht so einfach zu bekommen. Kaum schließe ich die Augen, höre ich Flugzeuge, den Kühlschrank oder/und das heisere Krähen des Nachbarshahn. Letzterer scheint eh genau dann einen Anfall zu bekommen, wenn ich meine Übung machen möchte. Kann natürlich sein, dass der Gockel generell sehr mitteilungsbedürftig ist aber mir das nur auffällt, weil ich mich so schlecht auf meine Übungs-Sprüchlein konzentrieren kann.
Das Sprüchlein selbst ist einfach und wird im Zwei-Wochen-Rhythmus um je eine Affirmation erweitert. Man startet, indem man sich vorsagt „Rechter (oder linker) Arm ganz schwer“. Das wird dann ergänzt um „Rechter (oder linker) Arm ganz warm“ und so geht es dann weiter. Die Entspannung finde ich einfach, innerhalb eines Atemzuges nimmt mein Körper die Konsistenz eines nassen Sandsacks an. Aber warm wird nichts, egal wie sehr ich mich konzentriere.
Nur ist es mit der Konzentration ganz schön weit her, das klappt überhaupt nicht. Während eine Ebene meines Hirns brav den Text runterspult, scheint eine zweite Ebene sich zu verselbstständigen. Ist das eigentlich normal, dass man denkt, während man denkt? Hab ich Stimmen in meinem Kopf? Und warum plant mein Hirn schon den nächsten Tag während ich doch so gerne im Moment verweilen möchte? Anfängerfehler, da geht ganz schön der Punk ab im Oberstübchen. Hat ja auch keiner gesagt, das Meditation und Co. einfach währen.
Ich kann mich zwar für das Autogene Training nicht erwärmen, finde aber generell Gefallen an Entspannungstechniken. Ein bisschen kenne ich das von einer ehemaligen Yoga-Lehrerin. Die hat mit uns im Kurs Verschiedenes ausprobiert und mal abgesehen vom typischen Schnarchen mancher Mitsportelnden war ich danach wirklich erholt. Ok, das mit der Klangschale war auch nicht so meins obwohl unsere alte Salatschüssel sich dafür echt angeboten hätte, die hat auch so schön gong gemacht.
Andererseits passen tägliche „Zwangsentspannungen“ gar nicht in mein Leben. Manchmal bin ich einfach am Rotieren und dabei keineswegs gestresst. Oder ich fühle mich gestresst und finde meinen Ausgleich dann im Wald oder im Gespräch mit einer Freundin. Und sowieso ist das Autogene Training ja eher eine Vorbeugemaßnahme gegen akuten Stress. Ist er erst mal da, ist es vielleicht zielführender, den Stress rauszulassen und z.B. beim Sport abzubauen, als sich einzureden, man sei „ganz ruhig“. Und hilfreiche (Atem-)Übungen dazu gibt es auch abseits des Autogenen Trainings.
Die Gedanken kann ich ja durchaus schweifen lassen oder auch mal an nichts denken. Die Selbstsuggestion mag dazu ergänzend ebenfalls gut geeignet sein. Wenn ich mir körperliche Reaktionen wie ein Wärmegefühl einreden soll, sich diese aber partout nicht einstellen wollen, passt vielleicht auch einfach der Text nicht. „Ganzer Kopf ganz leer“ wäre mal eine gute Affirmation…
Ganz leer ist mein Kopf auch nicht, wenn ich mir die Entstehungsgeschichte des Autogenen Trainings anschaue. Entwickelt wurde diese Entspannungsmethode von J. H. Schulz, zur Zeit des Nationalsozialismus ein Befürworter der Euthanasie der sich auch aktiv an der Verfolgung von Homosexuellen beteiligt haben soll. Damit kein Schatten auf den Heilsbringer Autogenes Training fällt, wird in dem von mir aufgelesenen Buch Schultz´ Karriere während der NS-Zeit totgeschwiegen. Lässt sonst sich halt einfach nicht so gut vermarkten.
Dieses Hintergrundwissen kann ich nicht einfach ausblenden. Es mag ja sein, dass die Entspannungstechnik vielen Menschen hilft aber irgendwie hinterfrage ich für mich ständig, ob ich etwas, das von einem dermaßen großen Arschloch ersonnen wurde, wirklich machen möchte. Von wegen keine Nebenwirkungen – die Beschäftigung mit dem Hintergrund und der Entstehung hinterlässt nicht nur einen faden Beigeschmack, sondern löst eher einen enormen Brechreiz aus.
Zum Glück gibt es ja einen ganzen Strauß alternativer Entspannungsmethoden. Die Technik der Autosuggestion an sich kann man auch abseits des Autogenen Trainings lernen. Vielleicht versuche ich das mal oder beschäftige mich ganz allgemein mit Meditation. Soll ja verdammt gut fürs Hirn sein.
Ich habe für mich den Selbstversuch Autogenes Training erfolglos beendet und den Versuch, mir selbst was vorzumachen einzureden, beerdigt. Entweder bin ich nicht sehr überzeugend oder zu kritisch. Ich bilde mir zwar ein, nie besonders leichtgläubig gewesen zu sein aber offensichtlich ist es mit dem Einbilden selbst wiederum auch so eine Sache.
Einbildung ist auch eine Bildung.
Ja, es ist vollkommen normal, dass das Gehirn sich nicht so leicht abschalten lässt. Sich zu verordnen, nichts zu denken, dafür gibt es das schöne Beispiel „Denken Sie jetzt nicht an einen weißen Elefanten“. Wenn du dir das vornimmst, kannst du nur an weiße Elefanten denken 😄. Ich mache zur Zeit wieder Yoga, da beginnen und beenden wir die Stunde mit Entspannung. Die Yoga-Lehrerin sagt uns dann mit Gong-Begleitung z.B. „dein rechtes Bein ist ganz entspannt“ usw. Das finde ich auch schwierig, wie fühlt sich denn ein entspanntes Bein an? Ich stelle mir dann vor, dass ich quasi über mir schwebe und mein Blick das Bein entlang „streichelt“, das funktioniert ganz gut. Am schwierigsten ist wie du sagst, das Gedankenkarussel abzustellen. Ich bin ja seit Kindheit gut geübt darin, Bilder oder Geschichten abzurufen, als wir letzte Woche uns eine verschneite Wiese vorstellen sollten, lief das für mich ziemlich einfach. Ansonsten versuche ich, an einem Begriff, bei einer Vorstellung zu bleiben, und wenn die Gedanken abdriften, wieder dahin zu denken.
Ich habe es als ich studiert habe auch mit Autogenem Training im Selbstversuch probiert. Muss man nicht sagen „mein“ rechter Arm ist ganz schwer? Ist schon lange her, ich weiß es nicht mehr.
Schwierig finde ich die Sache mit dem Erfinder des Autogenen Trainings, offensichtlich eine echt unangenehme Type. Aber der Sache nach ist es ja kein Geheimnis, dass die menschliche Vorstellungskraft viel zu leisten vermag. Ich mache Yoga, ohne dass ich dem esoterischen und spirituellen Klimbim, der da dran hängt, irgendwas abgewinnen kann. Für mich funktioniert es auch ohne Ohmm 😄.
Entspannte Grüße, Petra
Der Hintergrund der Entwicklung war mir nicht bekannt. Bei mir funktioniert auch nur Schwere, keine Wärme. Klangschalenklänge und -schwingungen mag ich sehr gerne.
Hab einen schönen Tag!
Liebe Vanessa,
alleine kann ich kein Autogenes Training … da bin ich ein zu unruhiger Geist.
Da fallen mir 1000 Dinge ein, die ich noch erledigen könnte.
Aber nach Yoga finde ich so eine kurze Entspannungseinheit mit Autogenen Training KLASSE.
Herzliche Grüße
Jutta
Oh ich kenne das, ich denke auch immer an alles mögliche, wenn ich nicht denken will. Gerade klappt das wunderbar, das Entspannen und zwar beim Morgenkaffee am Strand. Ob ich mir Zuhause dieses Bild abrufen kann. Das wäre klasse.
Ich bin bei Dir, hast Du das Buch entsorgt?!
Liebe Grüße aus Ban krut, Tina
Autogenes Training kann eine wirklich tolle Sache sein. Ich sollte das als Teenager auch eine Zeit lang machen, um für eine bessere mentale Gesundheit zu sorgen und den massiven Verspannungen von Nacken und Kopf entgegen zu wirken. Man muss dazu wissen, dass ich Migräne-Patientin bin und gerne mal unter Spannungskopfschmerzen leiden. Es ist schon eine schöne Sache.
Obwohl ich mich für einen gechillten Menschen halte, Yoga liebe und Klangschalen mag, bin ich furchtbar schlecht im Meditieren (was ja ähnlich ist). Darum habe ich heftig genickt, geschmunzelt (ob der Geräusche) und mich gewundert bzw., gelernt (die Geschichte kannte ich auch nicht).
Vielleicht braucht das Ganze auch keinen Namen, wenn man sich entspannen möchte. Weil ich glaube, wenn man auf sich hört, dann findet man eine Technik.
Danke für diesen schönen UND lehrreichen, sehr menschlichen Beitrag.
Liebe Grüße
Nicole