Teures Pipi
Wer im Supermarkt oder in der Drogerie ein bisschen Langeweile hat, kann sich in der Abteilung für Nahrungsergänzungsmittel mal durch das Sortiment an Kuriositäten lesen.
Da findet man die tollsten Verheißungen – von schönerem Haar mit Hafer über geistige Vitalität dank Ginseng bis hin zur perfekten Figur durch Ananasenzyme. Alles kann man optimieren, die Mittelchen und Pülverchen sind blumig beschrieben und manchmal ist auch der Inhalt blumig.
Nahrungsergänzungsmittel (kurz NEM) werden rechtlich den Lebensmitteln zugeordnet und durch die Richtlinie 2002/46/EG geregelt. Diese gibt insbesondere die zulässigen Vitamine und Mineralstoffe vor und regelt auch die (un)zulässigen Werbeaussagen. Versprechungen bezüglich der Vorbeugung oder Behandlung von Erkrankungen sind beispielweise rechtswidrig und grenzen die Nahrungsergänzungsmittel damit klar von Arzneimitteln ab.
Doch auch wenn die Nahrungsergänzungsmittel nicht unter dem Begriff Medizin laufen, frei von Nebenwirkung sind sie deswegen noch lange nicht. Wer auf eigene Faust und ohne ärztliche Grundlage bestimmte Stoffe supplementiert, hat am Ende womöglich mit schädlichen Überdosierungen zu kämpfen statt des erwarteten positiven Nutzens.
Trotzdem greifen viele kerngesunde und vermeintlich intelligente Menschen regelmäßig zu frei verkäuflichen Pillen und Pulvern.
Doch der Glaube versetzt bekanntlich Berge, auch oder besonders der Irrglaube. Und so reicht oft schon eine butterweiche Werbeformulierung, dass etwa ein bestimmter Inhaltsstoff eine lebensverbessernde Wirkung haben könnte, um die Geldbörsen lockern. Wir wünschen uns so sehr, schöner, gesünder oder leistungsfähiger zu sein, dass wir dafür sogar unseren gesunden Menschenverstand ignorieren. Im Gegenteil, wir reden uns das Risiko sogar schön, indem wir uns vormachen, dass die Einnahme von freiverkäuflichen Produkten ja nicht schaden kann. Dabei klären uns unzählige Studien und Fachartikel über die Risiken und fehlenden Nutzen auf.
Lediglich für eine kleine Gruppe von Menschen ist laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) eine zusätzliche Gabe von Nahrungsergänzungsmitteln sinnvoll. So zählen etwa Senioren, Schwangere und Leistungssportler zu den Gruppen, die einen erhöhten Nährstoffbedarf für bestimmte Stoffe haben. Doch sollte man auch als Angehöriger einer Risikogruppe nicht ohne ärztlichen Rat mit dem Großeinkauf starten. Wer sich ausführlicher über das Thema informieren will, dem sei im Übrigen dieser Artikel von Quarks ans Herz gelegt.
Im schlimmsten Fall kommt es bei einer längeren Überversorgung mit Vitaminen, beispielsweise Vitamin A, zur sogenannten Hypervitaminose was auch zu typischen Vergiftungserscheinungen wie Übelkeit, Kopfschmerzen u.a. führen kann. Auch fehlen oft wissenschaftliche Nachweise für gesundheitsfördernde Eigenschaften für viele Nahrungsergänzungsmittel. Zwar ist der Nutzen von Flavonoiden, die zu den sekundären Pflanzenstoffen zählen, belegt. Doch den Nachweis, dass man die antioxidativen Eigenschaften in Pillenform zu überführt hätte, bleiben die Anbieter schuldig. Ein Apfel ist halt nicht so einfach mit dem Chemiebaukasten nachzubauen.
Was man als gesunder Mensch mit Nahrungsergänzungsmitteln allerdings wirklich nachweislich erreicht, ist (frei nach Sheldon) teurer Urin. Denn die meisten der überflüssig zugeführten Stoffe scheidet unsere Körper glücklicherweise selbstständig wieder aus. Wir haben also einen Haufen Geld für einen zweifelhaften Nutzen in den Sand gesetzt. Wenn man sich die Preise für Testsieger einmal anschaut, ist das gar nicht wenig, was man da versenken kann.
Gesundheitsbezogene Angaben wie „die regelmäßige Einnahme kann einen positiven Effekt auf die Gesundheit haben“ dienen lediglich der Steigerung des Absatzes. Indem sie dem Kunden durch vage Versprechungen signalisieren, dass der Verzehr ihm gesundheitliche Vorteile bringe, soll dieser zum stetigen Konsum animiert werden. Dabei schmeißen die Hersteller fröhlich mit selbst finanzierten Studien, blumigen Formulierungen, exotischen Inhaltsstoffen und kreativen Siegeln um sich.
Noch dubioser wird es übrigens, wenn man mal im Internet recherchiert. Gegen jedes Wehwehchen ist ein Kraut gewachsen, nichts was es nicht gibt. Obskure Tees und Tinkturen sollen uns wahlweise glücklicher, ausgeglichener, schlanker oder leistungsfähiger machen.
Und gleichzeitig lachen wir über Kulturen, in denen gemahlenes Nashorn oder Elfenbein als Aphrodisiakum und zur Potenzsteigerung verabreicht werden. Ganze Arten werden ausgerottet, im festen Glauben an einen gesundheitlichen Effekt. Doch die meisten Pillen aus dem Supermarkt haben genauso wenig eine wissenschaftliche Grundlage, geschweige denn irgendeinen Effekt.
Mal abgesehen vom zweifelhaften Nutzen des Inhalts produzieren wir mit unnötigen Nahrungsergänzungsmitteln auch noch einen riesigen Müllberg aus Blistern, Pillendöschen, Tütchen und Umverpackungen. Von der Herstellung und dem Transport ganz zu schweigen. Selbst wenn wir uns mit den meisten Präparaten nicht schaden, der Umwelt tun wir damit definitiv keinen Gefallen.
Statt also unser Geld für bittere Pillen auszugeben, investieren wir es lieber vernünftig. Vielleicht in Aktien eines Pillenproduzenten 😉 Im Zweifelsfall ist es in einem Paar anständiger Laufschuhe und ausgewogener Ernährung definitiv besser angelegt! Sonne gibt es umsonst (Vitamin D) und wer wirklich einen Mangel vermutet, der lässt das besser vom Arzt abklären. Und ihr wisst ja, „An Apple a day…“
Gut geschrieben, die Mittelchen versprechen Gesundheit gegen Geld. Seriös ist das nicht.
Danke
Ich habe die Überschrift für clickbait gehalten. Dass sich dann aber ein so sinnvoller Artikel dahinter verbirgt, für den die Überschrift wie die Faust aufs Auge passt, überrascht mich positiv. Schönen Sonntag! 😀
Den Titel habe ich von „Big Bang Theory“ geklaut. Wie du sagst, er passt einfach perfekt 🙂
Ich finde es gut, dass Du hier auf das Thema Versprechungen von Nahrungsergänzungsmitteln aufmerksam machst. Viel zu viele Menschen vertrauen einfach blind darauf, dass etwas wirkt oder „gesund ist“, nur, weil es auf der Packung steht. Dabei müsste man eigentlich wissen, dass eine ausgewogene Ernährung gesundheitlich durch nichts zu ersetzen ist. Vielleicht ist es noch bei Lebensmittel-Unverträglichkeiten interessant, aber die meisten Menschen können ihr Geld da guten Gewissens für sinnvollere Dinge ausgeben
viele Grüße,
Hanna
Ja, es ist schon erstaunlich, wie leicht wir uns von der Lebensmittelindustrie manipulieren lassen. Dabei ist eine halbwegs vernünftige Ernährung doch so einfach.
Es ist Wahnsinn, was alles zu Geld gemacht werden kann. Wie tief dieses Streben nach schöner, gesünder, besser in uns steckt. Als hätten wir nichts besseres zu tun. Ich gebe aber zu, als Vegetarierin habe ich auch schon supplementiert. Kein Eisen, sondern B12.
Bei einem Mangel machen solche Produkte ja auch Sinn. Nur wenn man die Pillen wie Gummibärchen einwirft und sich davon ein besseres Leben verspricht, ist man eindeutig den Werbeversprechen aufgesessen.